Wednesday, July 1, 2009

Das liebe Geld - Die Macht der Misere (german)

tanz (der-theaterverlag.de ) 
Mary Staub, Juli 2009
Wie New Yorker Choreografen mit der Wirtschaftskrise umgehen? Schizophren. Aber es bleibt ihnen nichts anderes übrig.
Wir könnten feiern. Ein Jahr Wirtschaftskrise. Sie begann hier in den USA und trifft rund 1000 Choreografen und geschätzte 5000 Tänzer allein in New York. Seit Jahren schon haben Firmensponsoren ihre Beiträge an Tanzkompanien und freischaffende Choreografen reduziert. Die Banken- und Wirtschaftskrise gab ihnen perfekte Argumente, die Zuwendungen nahezu gen null schrumpfen zu lassen.
Schlimmer noch wirken Sparmaßnahmen des staatlichen Kulturfonds.
Hier greift das Argument, trotz der Ernennung des Broadway-Produzenten Rocco Landesman beim National Endowment of the Arts, dass Sozialeinrichtungen wie Obdachlosenheime und Lebensmittelprogramme dem «Luxusgut» Tanz vorzuziehen seien. Wie kann man auch nur gegen soziale Hilfsprogramme wie «Mehr Nahrung für Kinder in benachteiligten Schulen» konkurrieren (wollen)? «Es ist wie ein Nieselregen, der zum Regenguss wird», sagt Michelle Bukhart, Direktorin von dance/NYC, einer Organisation, die seit Jahren den Tanz in New York unterstützt.
Laut ihrer jüngsten Umfrage haben seit September 2008 beinah die Hälfte aller befragten Tanzschaffenden ihre für 2009 geplanten Aufführungen wegen unzureichender finanzieller Unterstützung absagen müssen. Der immer schon starke Kampf um Anerkennung in der Tanzwelt New Yorks wird zum Kampf um die Existenz.
Die meisten Choreografen arbeiten projektweise und müssen im Durchschnitt mit weniger als 25 000 Dollar pro Jahr auskommen. «Ich arbeite normalerweise sechs bis acht Monate an einem Projekt, aber das kann ich mir nicht mehr leisten», sagte Lynn Neuman von der Artichoke Dance Company, die Tänzern fünf Dollar pro Probe, hundert Dollar pro Aufführung zahlt, zuletzt für das Stück «Recession Dances, and So Can You!» mit Tanzformen der 1930er wie Lindy Hop und Hustle. «Ich zwang mich, das Stück in einer Woche zu stemmen.
Jetzt gefällt es mir, so schnell zu arbeiten.»
Andere ziehen sich dagegen «vorübergehend zurück». Ohne ihren uramerikanischen Optimismus zu verlieren: «Ich brauche die Atempause, um mein Oeuvre neu zu überdenken», heißt es, und das verarmt so bis zur Unsichtbarkeit, alle rechnen aber weiter fest damit, dass die Choreografen ihre zwangskreative Pause perfekt nutzen werden. Denn die Stimmung ist wie immer: pragmatisch-erfinderisch. Kostüme werden recycelt, Proben auf ein Minimum reduziert, der Tauschhandel wiederbelebt.
Proberaum gegen Marketing, Beleuchtung gegen Videodokumentation, Kostümgestaltung gegen Flyerentwurf. Dance/NYC hat eine Gratis-Hotline für disponible Proberäume in New York eingerichtet. Ein Feed ist online, der kurzfristig freigewordene Proberäume «tweetet». Aber das sind Heftpflaster auf einer stark blutenden Wunde.
Um längerfristige Lösungen aus der Misere zu finden, unternehmen eine Handvoll Foren wie New Economy Smack Down («Bringt die New Economy unter Kontrolle») oder Programme, die Titel tragen wie Economic Revitalization for Performing Artists («Wirtschaftliche Revitalisierung für Darstellende Künstler») Versuche zu einer Kur.Vielversprechend ist Modell LoMAL (für: Lower Manhattan Arts Leaders), ein Zusammenschluss von elf Kunstvereinen, an dem auch die Battery Dance Company beteiligt ist. Sie beantragt ihren Fonds unter einer Dachorganisation, um Gelder effizienter zu verwenden, durch zentrales Marketing, gemeinsame Presse- und Lobbyarbeit. Ein Beauftragter für alle elf steht mit Regierungsvertretern in ständigem Gespräch.
Selbst eine gut dotierte Tanzkompanie wie die von Merce Cunningham geriet soeben in den Geruch der Krise, als sie die Verträge von drei besser bezahlten Tänzern nicht erneuerte. Es scheint, die künstlerische Integrität sei als solche bedroht. Wie oft in schweren Zeiten ist es die populäre Kunst, auf die nun die Veranstalter setzen. Das könnte selbst urbane Kompanien dazu verleiten, ihr Marketing, ihre Repertoirewahl und das Niveau ihrer Kreationen provinziellen Vorlieben anzupassen: Pop statt Provokation. Schulklassen-Ballett statt Neuinterpretationen. Folklore statt Fortschritt.
«Die größte Bedrohung ist die rezessive Mentalität», bestätigt Brett Egan, Geschäftsführer von Shen Wei Dance Arts mit einem Jahresbudget von mehr als einer Million Dollar: «Kompanien, die jetzt aufhören, interessante Werke zu kreieren, werden 2010 oder ‘11, wenn es der Wirtschaft wieder besser geht, eine höllische Zeit haben, sich bei Sponsoren zu beweisen.» Auch beim Partytalk in New York dreht sich alles nur darum: Kann ich der eigenen Kunst treu bleiben? Muss ich nicht gerade jetzt gegen die Normen und Ästhetiken rebellieren, wenn alle Welt bloß noch seichte Unterhaltung will?
Dreht man sich auf derselben Party nur einmal um, hört man diese Seite: Wie kann der «Wert des Tanzes» in Zukunft dem Wert von Sozialprogrammen gleichgestellt werden? Wie gelingt ein Schulterschluss, damit Tanz «nützlich» wirkt, um Firmensponsoren, Privatpersonen und staatliche Unterstützer zurückzugewinnen?
Man verbiegt sich in New York also ganz ordentlich. Und muss es wohl auch, falls man nicht für eine Weile in die innere Emigration gehen will.



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