tanz (der-theaterverlag.de )
Mary Staub, Juli 2009
Wie New Yorker
Choreografen mit der Wirtschaftskrise umgehen? Schizophren. Aber es bleibt
ihnen nichts anderes übrig.
Wir könnten feiern. Ein
Jahr Wirtschaftskrise. Sie begann hier in den USA und trifft rund 1000 Choreografen
und geschätzte 5000 Tänzer allein in New York. Seit Jahren schon haben
Firmensponsoren ihre Beiträge an Tanzkompanien und freischaffende Choreografen
reduziert. Die Banken- und Wirtschaftskrise gab ihnen perfekte Argumente, die
Zuwendungen nahezu gen null schrumpfen zu lassen.
Schlimmer noch wirken
Sparmaßnahmen des staatlichen Kulturfonds.
Hier greift das
Argument, trotz der Ernennung des Broadway-Produzenten Rocco Landesman beim
National Endowment of the Arts, dass Sozialeinrichtungen wie Obdachlosenheime
und Lebensmittelprogramme dem «Luxusgut» Tanz vorzuziehen seien. Wie kann man
auch nur gegen soziale Hilfsprogramme wie «Mehr Nahrung für Kinder in
benachteiligten Schulen» konkurrieren (wollen)? «Es ist wie ein Nieselregen,
der zum Regenguss wird», sagt Michelle Bukhart, Direktorin von dance/NYC, einer
Organisation, die seit Jahren den Tanz in New York unterstützt.
Laut ihrer jüngsten
Umfrage haben seit September 2008 beinah die Hälfte aller befragten
Tanzschaffenden ihre für 2009 geplanten Aufführungen wegen unzureichender
finanzieller Unterstützung absagen müssen. Der immer schon starke Kampf um
Anerkennung in der Tanzwelt New Yorks wird zum Kampf um die Existenz.
Die meisten Choreografen arbeiten projektweise und müssen im Durchschnitt mit weniger als 25 000 Dollar pro Jahr auskommen. «Ich arbeite normalerweise sechs bis acht Monate an einem Projekt, aber das kann ich mir nicht mehr leisten», sagte Lynn Neuman von der Artichoke Dance Company, die Tänzern fünf Dollar pro Probe, hundert Dollar pro Aufführung zahlt, zuletzt für das Stück «Recession Dances, and So Can You!» mit Tanzformen der 1930er wie Lindy Hop und Hustle. «Ich zwang mich, das Stück in einer Woche zu stemmen. Jetzt gefällt es mir, so schnell zu arbeiten.»
Die meisten Choreografen arbeiten projektweise und müssen im Durchschnitt mit weniger als 25 000 Dollar pro Jahr auskommen. «Ich arbeite normalerweise sechs bis acht Monate an einem Projekt, aber das kann ich mir nicht mehr leisten», sagte Lynn Neuman von der Artichoke Dance Company, die Tänzern fünf Dollar pro Probe, hundert Dollar pro Aufführung zahlt, zuletzt für das Stück «Recession Dances, and So Can You!» mit Tanzformen der 1930er wie Lindy Hop und Hustle. «Ich zwang mich, das Stück in einer Woche zu stemmen. Jetzt gefällt es mir, so schnell zu arbeiten.»
Andere ziehen sich
dagegen «vorübergehend zurück». Ohne ihren uramerikanischen Optimismus zu
verlieren: «Ich brauche die Atempause, um mein Oeuvre neu zu überdenken», heißt
es, und das verarmt so bis zur Unsichtbarkeit, alle rechnen aber weiter fest
damit, dass die Choreografen ihre zwangskreative Pause perfekt nutzen werden.
Denn die Stimmung ist wie immer: pragmatisch-erfinderisch. Kostüme werden
recycelt, Proben auf ein Minimum reduziert, der Tauschhandel wiederbelebt.
Proberaum gegen
Marketing, Beleuchtung gegen Videodokumentation, Kostümgestaltung gegen
Flyerentwurf. Dance/NYC hat eine Gratis-Hotline für disponible Proberäume in
New York eingerichtet. Ein Feed ist online, der kurzfristig freigewordene
Proberäume «tweetet». Aber das sind Heftpflaster auf einer stark blutenden Wunde.
Um längerfristige
Lösungen aus der Misere zu finden, unternehmen eine Handvoll Foren wie New
Economy Smack Down («Bringt die New Economy unter Kontrolle») oder Programme,
die Titel tragen wie Economic Revitalization for Performing Artists
(«Wirtschaftliche Revitalisierung für Darstellende Künstler») Versuche zu einer
Kur.Vielversprechend ist Modell LoMAL (für: Lower Manhattan Arts Leaders), ein
Zusammenschluss von elf Kunstvereinen, an dem auch die Battery Dance Company
beteiligt ist. Sie beantragt ihren Fonds unter einer Dachorganisation, um
Gelder effizienter zu verwenden, durch zentrales Marketing, gemeinsame Presse-
und Lobbyarbeit. Ein Beauftragter für alle elf steht mit Regierungsvertretern
in ständigem Gespräch.
Selbst eine gut dotierte
Tanzkompanie wie die von Merce Cunningham geriet soeben in den Geruch der
Krise, als sie die Verträge von drei besser bezahlten Tänzern nicht erneuerte.
Es scheint, die künstlerische Integrität sei als solche bedroht. Wie oft in
schweren Zeiten ist es die populäre Kunst, auf die nun die Veranstalter setzen.
Das könnte selbst urbane Kompanien dazu verleiten, ihr Marketing, ihre
Repertoirewahl und das Niveau ihrer Kreationen provinziellen Vorlieben
anzupassen: Pop statt Provokation. Schulklassen-Ballett statt Neuinterpretationen.
Folklore statt Fortschritt.
«Die größte Bedrohung
ist die rezessive Mentalität», bestätigt Brett Egan, Geschäftsführer von Shen
Wei Dance Arts mit einem Jahresbudget von mehr als einer Million Dollar:
«Kompanien, die jetzt aufhören, interessante Werke zu kreieren, werden 2010
oder ‘11, wenn es der Wirtschaft wieder besser geht, eine höllische Zeit haben,
sich bei Sponsoren zu beweisen.» Auch beim Partytalk in New York dreht sich
alles nur darum: Kann ich der eigenen Kunst treu bleiben? Muss ich nicht gerade
jetzt gegen die Normen und Ästhetiken rebellieren, wenn alle Welt bloß noch
seichte Unterhaltung will?
Dreht man sich auf
derselben Party nur einmal um, hört man diese Seite: Wie kann der «Wert des
Tanzes» in Zukunft dem Wert von Sozialprogrammen gleichgestellt werden? Wie
gelingt ein Schulterschluss, damit Tanz «nützlich» wirkt, um Firmensponsoren,
Privatpersonen und staatliche Unterstützer zurückzugewinnen?
Man verbiegt sich in New
York also ganz ordentlich. Und muss es wohl auch, falls man nicht für eine
Weile in die innere Emigration gehen will.
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