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Saturday, August 20, 2005
Monday, August 1, 2005
Interview: Sylvie Guillém (Basler Zeitung) - german
Mary Staub, Basler Zeitung
August, 2005
Kurzbiographie
Sylvie Guillém wurde 1965 in Paris geboren. Mit 11 Jahren wurde ihre Begabung für das Ballett an der Opéra de Paris entdeckt und sie trat dort in die Ballettschule ein. Mit 16 wurde sie in das Corps de Ballet aufgenommen und vier Jahre später, unter der Intendanz von Rudolf Nurejew, zur jüngsten "Etoile" befördert, der höchste Rang des Pariser Opern Ballets. Mit 24 Jahren verliess sie die Opéra um ihre Karriere selbst in die Hand zu nehmen und mit Kompanien und Choreographen ihrer Wahl zu arbeiten. Seither ist sie regelmässige Gasttänzerin am Royal Ballet in London und tritt bei Kompanien in der ganzen Welt auf. Sie gilt als eine der wenigen Tänzerinnen, die nach jahrelanger Arbeit im klassischen Tanz, auch den Sprung in den modernen Tanzes erfolgreich gemeistert hat. Im September tritt sie in Basel in "Broken Fall" von Russell Malephant auf, welches 2003 den Laurence Olivier Award für beste Tanzproduktion erhielt.
Interview
Sylvie Guillém, einstige danseuse Etoile de l'Opéra de Paris, tanzt seit 1989 als freischaffende Tänzerin und entscheidet selbst, wo, wann und mit wem sie arbeiten möchte. Immer öfter arbeitet sie auch mit Vertretern des modernen Tanzes, wobei sie keineswegs die Provokation, sondern einfache Ehrlichkeit im Tanz sucht, welche sie im Allgemeinen nur noch selten findet.
Frau Guillém, in Basel werden Sie in sehr abstrakten Choreographien von Russell Malephant auftreten. Was denken Sie, nimmt das Publikum von einer solchen Vorstellung, ohne klar erkennbare Handlung, mit sich?
Als ich Russels Werke zum Beispiel zum ersten Mal sah, hat es mich im Moment des Zuschauens verändert. Etwas Aehnliches erlebte ich einmal bei einem Kabuki in Japan. In Japan haben sie eine andere Ausdrucksart als wir im Westen. Philosophischer, aber auch simpler. Sie fürchten sich nicht vor tiefen Emotionen und drücken wirklich das aus, was sie empfinden. In dem Kabuki tanzte ein Mann die Rolle einer Frau und seine Schönheit oder Aufrichtigkeit berührte mich zutiefst. Ich konnte nicht genau feststellen, was mich berührt hatte, ich wusste bloss, dass mich etwas verändert hatte. Was man mit den Augen sieht, ermöglicht einem oft auch Anderes mit neuem Blick zu sehen. Man sieht vielleicht ein Gemälde auf andere Art, oder einen Freund, oder eine Mahlzeit. Man trägt das Gesehene immer in sich. Bei Russell war das gleich.
Wenn Menschen also etwas ähnliches von meinen Vorstellungen mitnehmen, finde ich das gut. Heutzutage, mit alldem was produziert wird, findet man dies nicht mehr oft.
Viele Menschen haben aber den Eindruck, sie verstünden den modernen Tanz nicht. Was raten Sie ihnen?
Ich denke, wenn man eine Vorführung wie zum Beispiel die von Russell sieht, muss man einfach loslassen. Man muss sich irgendwie berühren lassen. Wenn ein Zuschauer es nicht versteht, weil er Anderes gewohnt ist, könnte er versuchen es von einer anderen Seite zu sehen: den Worten zuzuhören, anstatt Worte zu erwarten.
Dieses Erlebnis hatte ich mal mit einer Vorführung von Carmen, von Mats Ek, in London. Da gibt es keine Carmen mit Blume im Haar. Es ist viel grober und ein Zuschauer kritisierte es auch als zu grob, zu rauh, zu plump. Ich forderte ihn auf, Mérimées Carmen nochmals zu lesen und die Carmen aus neuer Perspektive zu sehen. Carmen muss nicht wie die Carmen der Oper sein, es gibt auch andere Carmen. Der Zuschauer kam zurück und hatte dann wirklich eine etwas andere Sicht,
er öffnete sich dem also, was ich ihm gesagt hatte.
Geschmack ist natürlich sehr vielfältig. Einige Menschen mögen blau, andere mögen rot besser, dem kann man wenig entgegnen. Wenn es also um Präferenzen geht, wie blau vor rot, da müsste man sich fragen: Warum mag ich blau besser? Aber dazu ist nicht jeder bereit.
Denken Sie dies sei die Aufgabe des Tanzes im Allgemeinen, dem Zuschauer solch ein bleibendes Erlebnis zu geben?
Ja, dies ist was der Tanz bewirken soll. Aber beim Tanz ist es wie bei Vielem, wie bei der Kunst zum Beispiel: Es gibt sehr viele Gemälde auf dieser Welt, aber wie viele sprechen Sie wirklich an? Wie viel Musik berührt Sie wirklich? Wenn mein Tanzen dies irgendwie erreichen kann, freut es mich sehr, denn ich weiss aus Erfahrung, wie wertvoll solch ein Erlebnis sein kann.
Ich erhalte von Zuschauern oft Briefe. Manchmal bin ich von ihren Reaktionen so gerührt, dass ich weinen könnte. Bei alldem was in der Welt passiert, fragt man sich in meinem Beruf oft, welchen Sinn unsere Arbeit macht. Wenn andere Menschen durch mein Tanzen aber solche Empfindungen erleben, dann ist dies sicherlich gut und meine Arbeit dient demnach mehr als der blossen Unterhaltung. Das gibt mir Kraft und ist ermutigend.
Denken Sie denn manchmal ans Aufhören?
Es ist eine Frage der Leidenschaft. Wenn die Leidenschaft nicht mehr da ist, dann ist es besser aufzuhören. Deshalb denke ich, dass für mich auch einmal die Zeit kommen wird, wo es zu Ende ist. Aber einen bestimmten Plan habe ich nicht. Ich hatte nie vor Tänzerin zu werden, oder danseuse étoile der Opera. Ich hatte nie geplant, die Opera zu verlassen. Ich entschied solche Sachen immer erst, als die Zeit dafür reif war. Als die Tür offen stand, fragte ich mich, ob ich hindurch gehen wollte. Wenn man aber genau hinschaut, ergibt der Weg, den man zurückgelegt hat, immer einen Sinn und führt auch zu einem Ende. Es könnte für mich so aussehen, dass ich merke, ich habe keine Leidenschaft fürs Tanzen mehr. Und es ist wahr, so viel gibt es nicht mehr, was mich in der Tanzwelt anspricht.
Was fehlt ihnen denn im heutigen Angebot des Tanzes?
Es kommt darauf an, ob im klassischen oder modernen Tanz.
Im modernen Tanz sind alle immer auf der Suche nach Neuem. Oft versucht man einfach zu provozieren, obwohl das gar nicht mehr neu ist. Dann erhält man einen unechten modernen Tanz, der wirklich gar nichts mehr aussagt. Aber weil es angeblich neu ist, und es niemand richtig versteht, lebt diese Tendenz weiter.
Wer versteht nicht, das Publikum?
Das Publikum ist nur das Eine, das Andere sind diejenigen, die das Geld zur Verfügung stellen, zum Beispiel die Minister. Sie denken oft, weil etwas provokativ ist, sei es automatisch gut. Aber so ist es nicht. Wenn etwas leer ist, dann ist es leer. Man könnte jemanden aus der Menge pflücken, ihn auf eine Bühne stellen und ihn stundenlang so stehen lassen - das wäre eine Vorführung von... ich nenne keine Namen. Und dann sagen die Minister: Wunderbar, unglaublich, das ist die Repräsentation des Nichts!
Um Gottes Willen, öffnet die Augen!
Wie kann man dieser Tendenz entgegenwirken?
Nach einer Weile werden die Zuschauer genug haben vom Unverständlichen und möchtegern Intellektuellen. Irgendwann sagen sie: Nein, was Sie bieten sagt mir nichts, es ist langweilig, ich bleibe lieber zu Hause und lese ein Buch, oder trink einen Kaffee, oder plaudere mit meinem Freund, als mir dieses Zeug anzuschauen, denn dies bedeutet rein gar nichts.
Im klassischen Tanz müsste man erkennen, dass nicht alles wie vor 100 Jahren getanzt werden muss. Auch ohne Glitzerzeug kann man etwas erzählen. Man muss nicht unbedingt den Fuss so halten, den Arm dort strecken, den Augapfel so verdrehen um eine Emotion zu übermitteln. Man müsste mehr Intelligenz hineinbringen und sich überlegen, warum man gewisse Posen macht. Man kann nicht einfach blind übernehmen, was einem beigebracht wurde ohne sich selbst etwas zu überlegen. Man müsste also die Denkweise der Tänzer etwas verändern. Ich weiss aber auch, viele Tänzerinnen lieben den klassischen Tanz genau dafür, wofür ich ihn hasse. Ich habe die Bühne anfangs einfach als etwas Faszinierendes erlebt und wollte deren Möglichkeiten ausprobieren.
So sind Sie also zum Tanz gekommen?
Ja, ich hab den Beruf der Tänzerin nicht ausgewählt. Ich träumte nie davon eine klassische Ballerina zu werden mit Kopfschmuck, Tutu, Glitzerzeug und alldem, was dazugehört. Als ich zum ersten Mal die Bühne betrat, erlebte ich sie als endlose Welt, die ausgekostet werden musste. Später merkte ich, dass die Möglichkeiten doch limitiert waren und ich weigerte mich auch oft Sachen zu tun, die ich lächerlich fand.
War dies während Ihrer Zeit an der Opéra?
Ja. Und ich weiss, meine Ideen waren nicht immer gut, das bestreite ich nicht. Zum Beispiel insistierte ich meine Haare genau so zu tragen, wie ich wollte, oder ich schnitt mein Kostüm einfach ab. Aber für mich war es wie eine Revolution. Ich wollte einfach etwas in Bewegung setzen, sie liessen sich aber nicht bewegen. Es hiess immer nur: Dies kannst du nicht, jenes darfst du nicht, wir entlassen dich sonst. Ich bekam auch langsam den Ruf der emotionslosen Tänzerin, weil ich ihren Gefühlscode bei der Interpretation der Stücke nicht verwendete.
Ich war 24 Jahre alt. Die Karriere einer Tänzerin ist kurz und ich wollte nicht immer um solche Trivialitäten kämpfen müssen. Ich wusste, dass ich ausserhalb dieser Welt noch sehr viel lernen konnte. Ich war wie ein Schwamm und wollte alles aufsaugen. Also verliess ich die Opéra.
Zum Schluss: Ihre Kritiker bezeichnen Sie als "die legendäre Sylvie Guillém" und "die hervorragendste Ballerina Ihrer Generation." Verspüren Sie von solchen Worten einen besonderen Druck oder Verantwortung?
Der Druck existiert für mich immer, wenn nicht von den Kritikern und Zuschauern, dann von mir selbst. Dem Druck kann man in diesem Beruf nicht entkommen. Je mehr man erreicht, desto grösser werden die Erwartungen. Man sammelt Erfahrungen und muss immer über das hinaus, was man schon geboten hat. Also hört der Berg nie auf, weder für einen selbst, noch fürs Publikum.
Ist dies positiv oder negativ?
Es ist beides. Psychologisch gesehen wird es dadurch sehr schwer. Man hat jedes Mal, bevor man die Bühne betritt, noch mehr Angst als das vorige Mal. Es gibt lauter Gespenster. Manchmal schlafen sie ruhig und manchmal wachen sie auf. Mit denen muss man zurecht kommen.
Und wie legen Sie solche Gespenster lahm?
In dem ich die Bühne betrete.
August, 2005
Kurzbiographie
Sylvie Guillém wurde 1965 in Paris geboren. Mit 11 Jahren wurde ihre Begabung für das Ballett an der Opéra de Paris entdeckt und sie trat dort in die Ballettschule ein. Mit 16 wurde sie in das Corps de Ballet aufgenommen und vier Jahre später, unter der Intendanz von Rudolf Nurejew, zur jüngsten "Etoile" befördert, der höchste Rang des Pariser Opern Ballets. Mit 24 Jahren verliess sie die Opéra um ihre Karriere selbst in die Hand zu nehmen und mit Kompanien und Choreographen ihrer Wahl zu arbeiten. Seither ist sie regelmässige Gasttänzerin am Royal Ballet in London und tritt bei Kompanien in der ganzen Welt auf. Sie gilt als eine der wenigen Tänzerinnen, die nach jahrelanger Arbeit im klassischen Tanz, auch den Sprung in den modernen Tanzes erfolgreich gemeistert hat. Im September tritt sie in Basel in "Broken Fall" von Russell Malephant auf, welches 2003 den Laurence Olivier Award für beste Tanzproduktion erhielt.
Interview
Sylvie Guillém, einstige danseuse Etoile de l'Opéra de Paris, tanzt seit 1989 als freischaffende Tänzerin und entscheidet selbst, wo, wann und mit wem sie arbeiten möchte. Immer öfter arbeitet sie auch mit Vertretern des modernen Tanzes, wobei sie keineswegs die Provokation, sondern einfache Ehrlichkeit im Tanz sucht, welche sie im Allgemeinen nur noch selten findet.
Frau Guillém, in Basel werden Sie in sehr abstrakten Choreographien von Russell Malephant auftreten. Was denken Sie, nimmt das Publikum von einer solchen Vorstellung, ohne klar erkennbare Handlung, mit sich?
Als ich Russels Werke zum Beispiel zum ersten Mal sah, hat es mich im Moment des Zuschauens verändert. Etwas Aehnliches erlebte ich einmal bei einem Kabuki in Japan. In Japan haben sie eine andere Ausdrucksart als wir im Westen. Philosophischer, aber auch simpler. Sie fürchten sich nicht vor tiefen Emotionen und drücken wirklich das aus, was sie empfinden. In dem Kabuki tanzte ein Mann die Rolle einer Frau und seine Schönheit oder Aufrichtigkeit berührte mich zutiefst. Ich konnte nicht genau feststellen, was mich berührt hatte, ich wusste bloss, dass mich etwas verändert hatte. Was man mit den Augen sieht, ermöglicht einem oft auch Anderes mit neuem Blick zu sehen. Man sieht vielleicht ein Gemälde auf andere Art, oder einen Freund, oder eine Mahlzeit. Man trägt das Gesehene immer in sich. Bei Russell war das gleich.
Wenn Menschen also etwas ähnliches von meinen Vorstellungen mitnehmen, finde ich das gut. Heutzutage, mit alldem was produziert wird, findet man dies nicht mehr oft.
Viele Menschen haben aber den Eindruck, sie verstünden den modernen Tanz nicht. Was raten Sie ihnen?
Ich denke, wenn man eine Vorführung wie zum Beispiel die von Russell sieht, muss man einfach loslassen. Man muss sich irgendwie berühren lassen. Wenn ein Zuschauer es nicht versteht, weil er Anderes gewohnt ist, könnte er versuchen es von einer anderen Seite zu sehen: den Worten zuzuhören, anstatt Worte zu erwarten.
Dieses Erlebnis hatte ich mal mit einer Vorführung von Carmen, von Mats Ek, in London. Da gibt es keine Carmen mit Blume im Haar. Es ist viel grober und ein Zuschauer kritisierte es auch als zu grob, zu rauh, zu plump. Ich forderte ihn auf, Mérimées Carmen nochmals zu lesen und die Carmen aus neuer Perspektive zu sehen. Carmen muss nicht wie die Carmen der Oper sein, es gibt auch andere Carmen. Der Zuschauer kam zurück und hatte dann wirklich eine etwas andere Sicht,
er öffnete sich dem also, was ich ihm gesagt hatte.
Geschmack ist natürlich sehr vielfältig. Einige Menschen mögen blau, andere mögen rot besser, dem kann man wenig entgegnen. Wenn es also um Präferenzen geht, wie blau vor rot, da müsste man sich fragen: Warum mag ich blau besser? Aber dazu ist nicht jeder bereit.
Denken Sie dies sei die Aufgabe des Tanzes im Allgemeinen, dem Zuschauer solch ein bleibendes Erlebnis zu geben?
Ja, dies ist was der Tanz bewirken soll. Aber beim Tanz ist es wie bei Vielem, wie bei der Kunst zum Beispiel: Es gibt sehr viele Gemälde auf dieser Welt, aber wie viele sprechen Sie wirklich an? Wie viel Musik berührt Sie wirklich? Wenn mein Tanzen dies irgendwie erreichen kann, freut es mich sehr, denn ich weiss aus Erfahrung, wie wertvoll solch ein Erlebnis sein kann.
Ich erhalte von Zuschauern oft Briefe. Manchmal bin ich von ihren Reaktionen so gerührt, dass ich weinen könnte. Bei alldem was in der Welt passiert, fragt man sich in meinem Beruf oft, welchen Sinn unsere Arbeit macht. Wenn andere Menschen durch mein Tanzen aber solche Empfindungen erleben, dann ist dies sicherlich gut und meine Arbeit dient demnach mehr als der blossen Unterhaltung. Das gibt mir Kraft und ist ermutigend.
Denken Sie denn manchmal ans Aufhören?
Es ist eine Frage der Leidenschaft. Wenn die Leidenschaft nicht mehr da ist, dann ist es besser aufzuhören. Deshalb denke ich, dass für mich auch einmal die Zeit kommen wird, wo es zu Ende ist. Aber einen bestimmten Plan habe ich nicht. Ich hatte nie vor Tänzerin zu werden, oder danseuse étoile der Opera. Ich hatte nie geplant, die Opera zu verlassen. Ich entschied solche Sachen immer erst, als die Zeit dafür reif war. Als die Tür offen stand, fragte ich mich, ob ich hindurch gehen wollte. Wenn man aber genau hinschaut, ergibt der Weg, den man zurückgelegt hat, immer einen Sinn und führt auch zu einem Ende. Es könnte für mich so aussehen, dass ich merke, ich habe keine Leidenschaft fürs Tanzen mehr. Und es ist wahr, so viel gibt es nicht mehr, was mich in der Tanzwelt anspricht.
Was fehlt ihnen denn im heutigen Angebot des Tanzes?
Es kommt darauf an, ob im klassischen oder modernen Tanz.
Im modernen Tanz sind alle immer auf der Suche nach Neuem. Oft versucht man einfach zu provozieren, obwohl das gar nicht mehr neu ist. Dann erhält man einen unechten modernen Tanz, der wirklich gar nichts mehr aussagt. Aber weil es angeblich neu ist, und es niemand richtig versteht, lebt diese Tendenz weiter.
Wer versteht nicht, das Publikum?
Das Publikum ist nur das Eine, das Andere sind diejenigen, die das Geld zur Verfügung stellen, zum Beispiel die Minister. Sie denken oft, weil etwas provokativ ist, sei es automatisch gut. Aber so ist es nicht. Wenn etwas leer ist, dann ist es leer. Man könnte jemanden aus der Menge pflücken, ihn auf eine Bühne stellen und ihn stundenlang so stehen lassen - das wäre eine Vorführung von... ich nenne keine Namen. Und dann sagen die Minister: Wunderbar, unglaublich, das ist die Repräsentation des Nichts!
Um Gottes Willen, öffnet die Augen!
Wie kann man dieser Tendenz entgegenwirken?
Nach einer Weile werden die Zuschauer genug haben vom Unverständlichen und möchtegern Intellektuellen. Irgendwann sagen sie: Nein, was Sie bieten sagt mir nichts, es ist langweilig, ich bleibe lieber zu Hause und lese ein Buch, oder trink einen Kaffee, oder plaudere mit meinem Freund, als mir dieses Zeug anzuschauen, denn dies bedeutet rein gar nichts.
Im klassischen Tanz müsste man erkennen, dass nicht alles wie vor 100 Jahren getanzt werden muss. Auch ohne Glitzerzeug kann man etwas erzählen. Man muss nicht unbedingt den Fuss so halten, den Arm dort strecken, den Augapfel so verdrehen um eine Emotion zu übermitteln. Man müsste mehr Intelligenz hineinbringen und sich überlegen, warum man gewisse Posen macht. Man kann nicht einfach blind übernehmen, was einem beigebracht wurde ohne sich selbst etwas zu überlegen. Man müsste also die Denkweise der Tänzer etwas verändern. Ich weiss aber auch, viele Tänzerinnen lieben den klassischen Tanz genau dafür, wofür ich ihn hasse. Ich habe die Bühne anfangs einfach als etwas Faszinierendes erlebt und wollte deren Möglichkeiten ausprobieren.
So sind Sie also zum Tanz gekommen?
Ja, ich hab den Beruf der Tänzerin nicht ausgewählt. Ich träumte nie davon eine klassische Ballerina zu werden mit Kopfschmuck, Tutu, Glitzerzeug und alldem, was dazugehört. Als ich zum ersten Mal die Bühne betrat, erlebte ich sie als endlose Welt, die ausgekostet werden musste. Später merkte ich, dass die Möglichkeiten doch limitiert waren und ich weigerte mich auch oft Sachen zu tun, die ich lächerlich fand.
War dies während Ihrer Zeit an der Opéra?
Ja. Und ich weiss, meine Ideen waren nicht immer gut, das bestreite ich nicht. Zum Beispiel insistierte ich meine Haare genau so zu tragen, wie ich wollte, oder ich schnitt mein Kostüm einfach ab. Aber für mich war es wie eine Revolution. Ich wollte einfach etwas in Bewegung setzen, sie liessen sich aber nicht bewegen. Es hiess immer nur: Dies kannst du nicht, jenes darfst du nicht, wir entlassen dich sonst. Ich bekam auch langsam den Ruf der emotionslosen Tänzerin, weil ich ihren Gefühlscode bei der Interpretation der Stücke nicht verwendete.
Ich war 24 Jahre alt. Die Karriere einer Tänzerin ist kurz und ich wollte nicht immer um solche Trivialitäten kämpfen müssen. Ich wusste, dass ich ausserhalb dieser Welt noch sehr viel lernen konnte. Ich war wie ein Schwamm und wollte alles aufsaugen. Also verliess ich die Opéra.
Zum Schluss: Ihre Kritiker bezeichnen Sie als "die legendäre Sylvie Guillém" und "die hervorragendste Ballerina Ihrer Generation." Verspüren Sie von solchen Worten einen besonderen Druck oder Verantwortung?
Der Druck existiert für mich immer, wenn nicht von den Kritikern und Zuschauern, dann von mir selbst. Dem Druck kann man in diesem Beruf nicht entkommen. Je mehr man erreicht, desto grösser werden die Erwartungen. Man sammelt Erfahrungen und muss immer über das hinaus, was man schon geboten hat. Also hört der Berg nie auf, weder für einen selbst, noch fürs Publikum.
Ist dies positiv oder negativ?
Es ist beides. Psychologisch gesehen wird es dadurch sehr schwer. Man hat jedes Mal, bevor man die Bühne betritt, noch mehr Angst als das vorige Mal. Es gibt lauter Gespenster. Manchmal schlafen sie ruhig und manchmal wachen sie auf. Mit denen muss man zurecht kommen.
Und wie legen Sie solche Gespenster lahm?
In dem ich die Bühne betrete.
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